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Weitere Informationen zu "Verraten und verkauft - Teil 3"
  • Autor: Tiny
  • Veröffentlichung: 28.03.2011 13:05
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Verraten und verkauft - Teil 3

Kapitel 3: Jäger und Sammler

Wie erstarrt saß Bo an die Wand gelehnt da und starrte auf die entsetzliche Szenerie vor sich. Der Körper des Ghuls lag auf die Seite gekippt ein paar Meter von ihm entfernt auf der Erde. Teile des Schädels, der ausgerissene Arm und die schreckliche riesige Keule lagen verstreut umher, während sich eine Lache aus hellem Blut schnell ausbreitete.
In seinem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung und blickte sich mit fast katatonischer Langsamkeit um. Vor ihm stand eine vollständig verhüllte Gestalt, die ein Großes Gewehr über die Schulter gelegt hatte, aus dessen Lauf sich eine dünne Rauchfahne kräuselte, und streckte ihm eine Hand entgegen. Sein Retter wirkte genauso riesenhaft wie zuvor der Ghul, verströmte aber keinerlei bedrohliche Ausstrahlung. Die Kleidung, in die er gehüllt war, war in schwarz gehalten und mit grauen Flecken übersät, die aber kein Schmutz waren, sondern wohl ein Tarnmuster sein sollten. Neben dem Gewehr führte die hochgewachsene Gestalt noch mehrere andere Waffen, wie Pistolen in Schulter- und Hüftholster, ein großes Messer in einer Scheide am Stiefelschaft und einige Granaten, die an einem Brustgurt zusammen mit einigen Munitionsclips befestigt waren. Das Gesicht wurde von einer Sturmmaske verdeckt, über dem der Riese einen leichten militärisch aussehenden Helm trug, der anscheinen auch über optische und akustische Verstärker verfügte, denn er hatte ein dunkel verspiegeltes Visier, integrierte Ohrenstutzen und eine Einfassung für Kinn-Partie und Mund.
„Was ist jetzt? Willst du ewig da sitzen bleiben,“ die Stimme des Fremden war elektronisch verzerrt und sehr schwer einzuordnen. Der Tonfall war im besten Falle ungeduldig, wenn nicht sogar etwas misstrauisch.
Bo schüttelte seine Starre ab und ergriff die Hand, die ihn daraufhin mit Leichtigkeit in die Höhe zog. Als er aufrecht vor der Gestalt stand, sah er erst richtig, wie groß der Mann wirklich war. Er selbst war für sein Alter nie besonders groß gewesen, aber diesem Fremden reichte er nur bis knapp über die Gürtellinie. Der Fremde griff sich unters Kinn, löste einen Riemen und zog den Helm vom Kopf.
Das Gesicht, dass darunter zum Vorschein kam, gehörte keinem Riesen in voller Kampfmontur, sondern einer jungen Frau von höchsten 30 Jahren. Sie hatte asiatisch anmutende Gesichtszüge und trug ihr glattes schwarzes Haar zu einem langen Zopf gebunden, der ihr jetzt über eine Schulter nach vorne fiel. Aber was auch immer sie war, sie war auf jeden Fall viel größer, als ihre zierlichen Züge vermuten ließen. Zuerst dachte er, er stünde vielleicht einer Elfe gegenüber. Von Elfen wusste er, dass sie teilweise ein gutes Stück größer werden konnten, als Menschen. Aber die junge Asiatin hatte keine erkennbar spitzen Ohren, die nun einmal das offensichtlichste Erkennungsmerkmal des elfischen Metatyps waren. In ihm keimte ein Verdacht, den er aber so noch nicht zulassen konnte und den er ohne Beweis und vor allem mindestens eine brauchbare Erinnerung nicht zulassen würde.
Sie griff in eine der Taschen ihres Kampfanzuges und förderte eine dunkle Brille zutage, die sie aufsetzte und an der ein kleiner Lichtpunkt sichtbar wurde. Offensichtlich handelte es sich dabei um eine Restlichtverstärkerbrille. Aber warum brauchte sie die Brille. Der Hof war zwar düster, aber nicht so dunkel, dass man auf Technologie angewiesen gewesen wäre, um sich zu orientieren. Sein Verdacht bekam neue Nahrung, die er gierig verschlang und zu wachsen begann. Die Frau stützte den Helm in die Hüfte, blickte zu ihm herunter und schüttelte den Kopf.
„Ist diese Gegend nicht ein Wenig zu gefährlich, um sich alleine hier herum zu treiben? Und dann noch in deinem Alter. Wie alt bist du mein Junge? Und wie kommst du an einen Ort wie diesen,“ ohne seine Antwort abzuwarten schritt sie an ihm vorüber, ging neben der enthaupteten Leiche des Ghuls in die Hocke und nahm ihren Rucksack vom Rücken, dem sie Gummihandschuhe, ein Desinfektionsspray mit Lappen, einige Messer, Plastikbeutel und Glasröhrchen entnahm. Den Helm stülpte sie dabei über ihr Knie und legte das Gewehr quer über ihre Bein. Sie schnitt einige Brocken Fleisch aus dem, was einmal der Hals des Infizierten gewesen war und ließ sie in ein paar der Beutel gleiten, den sie verschloss. Dann fing sie an, Blut in die Glasröhrchen zu füllen und verkorkte sie sorgfältig. Dann desinfizierte sie die Röhrchen und die Beutel, verstaute alles wieder in ihrem Rucksack und warf die Handschuhe und den Lappen danach achtlos von sich.
„Ich habe dich was gefragt Kleiner,“ sagte sie mit ungeduldigem Tonfall, während sie sich erhob und den Rücksack wieder schulterte.
Bo wollte ihr antworten, doch etwas hielt ihn zurück. Zum Einen war es der pure Ekel davor, was die Frau da an der Leiche gemacht hatte und zum Anderen war es dieser Verdacht, der seinen Verstand immer noch im Griff hatte.
„Du bist für einen Zwerg deines Alters aber ganz schön weit von zuhause weg. Hast du dich verlaufen? Ihr kleinen Leute seid schon ein eigenartiger Haufen. Wahrscheinlich bist du grade bei einer Mutprobe oder? Ich hoffe, du weißt, wie dumm es ist, sich alleine in dieser Gegend rumzutreiben,“ sie tippte sich mehrmals mit dem Lauf des Gewehres auf die Schulter, „es sei denn, man hat tatkräftige Verstärkung. Bei euch Zwergen wird Mut zwar echt groß geschrieben, aber dich ohne Aufsicht hier herumlaufen zu lassen, ist nicht grade clever. Komm mit Kleiner. Ich werde dich bis zur Stadtgrenze zurückbringen.“
Sie wandte sich der Straße zu und ging ein paar Schritte, bis sie bemerkte, dass Bo wie angewurzelt stehengeblieben war.
„Zwerg,“ murmelte er vor sich hin und betrachtete dabei seine Arme, die er vor sich ausstreckte. Dann vor er sich erneut über die eigenartigen Stoppeln an seinem Kinn und ließ den Blick nach unten zu seinen Beinen schweifen. Plötzlich ergaben all die merkwürdigen verwirrenden Sinneseindrücke, mit denen er sich hatte auseinandersetzen müssen, eine Sinn.
Er durchforstete seine Erinnerungen nach allem, was er über Zwerge wusste und versuchte es mit seiner momentanen Lage zu vergleichen.
Zwerge erreichten ausgewachsen eine Körpergröße von etwa 120 Zentimetern. Wenn diese Frau in Wahrheit gar keine Riesin war, so musste er tatsächlich in etwa die Größe eines Zwerges haben, in Anbetracht ihres Größenunterschiedes. Was er ebenfalls wusste war, dass Zwerge über eine natürliche Infrarotsicht verfügten, was das seltsame Licht um ihn herum erklären würde und die Tatsache, dass er sehen konnte, obwohl seine Retterin auf die Zuhilfenahme von Restlichtverstärkern angewiesen war. Gedankenverloren fuhr er sich an Nase und Ohren. Tatsächlich war seine Nase etwas vergrößert und breiter, als er sie in Erinnerung hatte und seine Ohren wiesen beide deutlich zu erfühlende Spitzen auf.
Erneut streckte er die Arme aus und schaute auch an sich herunter. Zwerge waren nicht wirklich einfach kleinere Ausführungen des Homo sapiens. Lediglich ihre Beine waren kürzer, während ihr Brustkorb und allgemein ihre ganze Statur eher stämmiger waren, als bei einem Norm. Obwohl er selbst noch ein Kind und grade erst an der Schwelle zum Erwachsenwerden war, wirkte sein Brustkorb schon breiter als der der Frau in voller Panzermontur. Auch seine Arme wirkten stärker, als sie bei einem Norm seines Alters sein konnten.
Aber in den Fetzen, die ihm noch von seinen Erinnerungen an sich und seine Familie übrig geblieben waren, hatte er sich eindeutig als Homo sapiens wahrgenommen. Seines Wissens nach, war die Verwandlung eines Menschen in eine Metaform, etwa durch die Goblinisierung oder durch UGE, in seinem Alter nicht ungewöhnlich. Allerdings hatte er nur von wenigen Fällen gehört, in denen sich derjenige in einen Zwerg verwandelt hatte. Zwerge wurden gewöhnlich als solche Geboren, sei es von Zwergeneltern, aber auch gelegentlich von menschlichen Eltern.
Das vermehrte Auftreten von genetischer Neustrukturierung eines Menschen, dass seit Anfang des Jahrhunderts bekannt war und das mit der als Erwachen bekannte Rückkehr der Magie in die Welt einher ging, war allerdings auch dafür bekannt, dass eben so gut wie nichts darüber bekannt war.
Wissenschaftler arbeiteten seit Jahren daran, hinter die Geheimnisse zu kommen, die seit über zwei Jahrzehnten das Antlitz der Erde so nachhaltig verändert hatten.
Das Auftreten magischer Ströme hatte nur den Auftakt bedeutet. Die Menschheit, oder besser ein kleiner Teil davon, hatte zwar gelernt, dieses Phänomen zu nutzen, aber seinem Ursprung war man noch nicht auf die Spur gekommen. Dazu kam die Entwicklung der Menschheit zur sogenannten Metamenschheit. Vor zwanzig Jahren begannen normale Menschen plötzlich Kinder zu bekommen, die Zwergen oder Elfen glichen. Diesem Vorgang, den man als UGE bezeichnete, folgte eine weitere Welle einschneidender Veränderungen, als Menschen wiederum bei Eintritt in die Pubertät plötzlich eine tiefgreifende körperliche Metamorphose durchliefen, aus der sie in Gestalt dessen hervorgingen, das heute als Trolle und Orks bekannt war. Die Veränderungen schienen rein zufällig und ohne erkennbares vorhersagbares Muster abzulaufen, jedoch verliefen die Ergebnisse der Wandlung immer gleich aus. Daraus gingen die Metatypen des Homo sapiens hervor. Elfen, Zwerge, Trolle und Orks ihrerseits vermehrten sich wie zuvor gewöhnliche Menschen und erhielten so im Laufe der Zeit ein eigenes Rassenbewusstsein. Und obwohl Menschen durch UGE lediglich Zwerge oder Elfen gebaren und Trolle und Orks aus der Goblinisierung hervorgingen, gab es auch vereinzelte Fälle von Zwergen oder Elfen, die durch eine Goblinisierung entstanden waren und Trollen oder Orks, die von menschlichen Eltern empfangen worden waren.
Die Welt folgte keinem nachvollziehbaren wissenschaftlichen Rahmen der Evolutionstheorie mehr, wie es schien. Auch im Tierreich waren innerhalb kürzester Zeit neue voll entwickelte Spezies aufgetaucht, die sich in so kurzer Zeit auf dem der Menschheit bekannten Weg der Evolution hätten entwickeln können.
Und wie, um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, waren überall auf der Welt Drachen erwacht, die anscheinend seit Jahrtausenden eine Art Winterschlaf gehalten hatten, um auf die Rückkehr der Magie zu warten und sich erneut zu erheben.
Hatte Bo wirklich eine Goblinisierung durchlaufen? War das vielleicht der Grund für seine bruchstückhafte Erinnerung? Aber wie war er dann alleine hierher geraten? Seines Wissens nach waren die Opfer der Goblinisierung während des ganzen Vorgangs allerhöchstens sehr kurzfristig bei Bewusstsein. War er hier zum Sterben abgeladen worden? Wenn ja, von wem? Sein Vater selbst war aktiver Magier gewesen und hatte seinen Bruder und ihn immer zu geistiger Offenheit und Toleranz erzogen. War es möglich, dass er seinen Sohn verstoßen würde, da dieser nun kein Mensch mehr war? Aber, wie hatten seine Eltern sonst zulassen können, dass er hier gelandet war?
Der große schwarze SK Tuareg bog von der Hauptstraße ab und fuhr auf eine der zahlreichen Rampen zu, die die verschiedenen Ebenen des Plexteils miteinander verbanden.
Die Straße, die sie auf direktem Weg nach Essen und damit nach Hause geführt hätte, war voller Demonstranten, die gegen irgendetwas protestierten und Polizisten, die versuchten, die Meute im Zaum zu halten.
„Warum haben wir nicht einfach gewartet, bis sie weiterziehen, Charles? Mir ist nicht wohl hier unten,“ flüsterte Susanne mit besorgter Miene, in der Hoffnung, dass ihre Söhne davon nichts mitbekamen.
„Die Stimmung war sehr gereizt, mein Engel. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Situation da oben eskalieren wird. Die Aura der Polizisten war zu angespannt, als dass nicht einer von ihnen gleich einen dummen Fehler machen wird. Ich will weder dich noch die Jungs in eine Straßenschlacht führen. Solange wir nicht weiter nach unten müssen, sollte das Ganze auch kein größeres Problem werden. Von dem kleinen Umweg abgesehen, läuft noch alles wie geplant,“ er versuchte, eine tiefe Zuversicht in seine Worte zu legen, die seine Frau aber wohl durchschaute und ihn mit einem Stirnrunzeln bedachte.
Aber, wie um Charles Rengars Worte zu unterstreichen, fiel hinter ihnen ein Schuss. Bo und Luke zerrten an ihren Sitzgurten, bis sie sich soweit umdrehen konnten, dass sie aus der Heckklappe des SUV sehen konnten. Was sie sahen, erschreckte die Jungen.
Polizei und Demonstranten stürmten aufeinander ein, wobei sich jede Partei aller ihr zur Verfügung stehen Mittel bediente, die andere zu überrollen. Die Polizisten waren in vorderer Front mit schweren Schilden und Knüppeln dabei, die ersten Reihen der Angreifer abzufangen, während die Beamten in den hinteren Reihen die Menge mit Tränengasgranaten und Gummigeschossen unter Feuer nahmen.
Die Demonstranten ihrerseits begannen damit, Steine nach den Polizisten zu werfen und nicht wenige von ihnen waren bewaffnet und eröffneten ihrerseits das Feuer.
Ein Querschläger traf die Tunnelwand genau in dem Moment, in dem der Wagen die Rampe erreichte und das Tageslicht hinter sich ließ. Charles erhöhte das Tempo des Wagens gerade soweit, wie es die enge Kurvenführung der spiralförmig in die Tiefe führenden Fahrbahn zuließ.
Die Strecke schien sich ins Unendliche zu dehnen und kein Ende nehmen zu wollen. Einige Windungen über ihnen erreichte der Tumult den Eingang des Tunnels, von dem sich die Polizisten wohl eine leichter zu verteidigende Stellung erhofften. Stattdessen zerbrach ihre Reihe aber und die beiden Schlachtreihen verschmolzen zu einem allumfassenden Chaos. Der Lärm von Schüssen, kleineren Explosionen und Schreien erfüllten die von wenigen Lampen erleuchtete Dunkelheit des Ebenenübergangs. Immer häufiger fielen Tote und lebende Körper an ihnen vorbei, die Mitte des Schachtes hinunter. Manche davon schienen sich in ihr Schicksal bereits ergeben zu haben, andere schrien nach Kräften und wieder andere feuerten aus blanker Dickköpfigkeit heraus weiter nach oben in die Menge.
„Los Liebling. Fahr schneller,“ Susanne starrte mittlerweile ohne zu zwinkern aus dem Seitenfenster den Schacht hinauf und zuckte sichtbar unter jedem Schuss zusammen. Charles konzentrierte sich und beschleunigte den Wagen noch weiter, als plötzlich ein Körper eine halbe Windung vor ihnen auf die Fahrbahn stürzte.
Es handelte sich dabei um einen massiv gebauten Troll in einem alten verdreckten Mantel mit einem unablässig feuernden Sturmgewehr in der einen und einer Sprenggranate in der anderen Hand. Bei seinem Aufschlag verstummte das Gewehr und mit einem hellen Pling sprang der Sicherungsbügel von der Granate. Der Troll blickte zu dem Tumult hinauf, der sich den Gang immer weiter nach unten verlagerte und lächelte, als die Granate detonierte.
Fluchend stieg Charles mit aller Kraft auf die Bremse und brachte den Wagen unmittelbar an der Stelle zum stehen, an dem die Granate die Fahrbahn in die Tiefe gerissen hatte.
„Los, alle raus hier,“ schrie er, entledigte sich eilig seines Sicherheitsgurtes und sprang aus dem Wagen. Susanne und die beiden Jungen folgten ihm und einige Sekunden später standen sie alle vor dem Wagen und schauten in das Dunkel unter sich. Der Spalt, den die Granate hinterlassen hatte war, bis zu der Stelle, an der die Fahrbahn unbeschädigt weiterging, gute zehn Meter breit.
„Was sollen wir jetzt machen Charles,“ Verzweiflung hatte Susannes Stimme gepackt und sie blickte unstet zwischen dem Loch vor ihnen und dem Kampf, der sich ihnen von hinten näherte, hin und her.
„Ich bringe euch da rüber. Wartet nicht auf mich, sondern verschwindet so schnell ihr könnt. Seht ihr die Klappe an der Wand da hinten,“ er deutete auf eine kleine Wartungstür in der Schachtwand etwa fünfzig Meter von ihrer jetzigen Position entfernt,“ dahinter ist ein Wartungsschacht mit einer Leiter, die euch zur Oberfläche bringt. Versucht, euch von dieser sogenannten Demonstration zu entfernen und nehmt euch ein Taxi nach Hause. Ich treffe euch dann dort.“
„Und wie willst du,“ Susanne blickte erschrocken ihren Mann an, der sie aber unterbrach, indem er sie fest in den Arm nahm und sie küsste. Dann sah er Luke tief in die Augen und sprach ihn mit ruhiger fester Stimme an.
„Pass gut auf deine Mutter und deinen Bruder auf, mein Junge. Wir sehen uns heute Abend zu Hause,“ mit diesen Worten hob er seine Arme in die Luft und murmelte einige unverständliche Worte.
Bo, Luke und ihre Mutter wurden emporgehoben und glitten langsam durch die Luft über den Abgrund hinweg. Bo war der erste, der die andere Seite erreichte und wieder Boden unter die Füße bekam. Als er sich umdrehte konnte er einige Polizisten sehen, die, sich während des Rennens ständig umdrehend und feuernd, auf seinen Vater zuliefen, der immer noch mit erhobenen Armen und geschlossenen Augen dastand.
Dann geschah das Unfassbare. Die Demonstranten, die die Polizisten verfolgten feuerten mehrere ungezielte Salven nach ihren vermeintlichen Opfern, die jedoch schlecht gezielt waren.
Mehrere der Schüsse, die ihre eigentlichen Ziele verfehlten, trafen seinen Vater in den Rücken, der unter den Einschlägen heftig schwankte und die Augen öffnete.
Auch seiner Frau war das nicht entgangen, denn sie schrie etwas Unverständliches. Charles Lippen formten noch die Worte, es tut mir leid, als er sich umdrehte und aus einer Hand einen blendend hellen Blitz auf die Angreifer schoss. Dann war alles vorbei, denn eine Kugel traf ihn genau in den Kopf. Bo, sein Bruder und ihre Mutter schrien wie aus einer Kehle seinen Namen, während er hintenüber geworfen wurde und unter ihnen in der Dunkelheit verschwand.
Mit ihm verschwand auch die Wirkung des Zaubers, mit dem er seine Familie über den Abgrund levitiert hatte. Bo warf sich nach vorne zu Boden und streckte seinem Bruder seine Hand entgegen. Als dieser sie ergriff zog ihn der Ruck über die Kante der Fahrbahn und er konnte sich nur durch Glück an einem der verbogenen Eisenträger festklammern, die aus den Rändern der Wunde ragten, die die Explosion gerissen hatte. Er schreib vor Schmerz laut auf, als das Gewicht seines Bruders voll zum Hängen kam. Doch die pure Verzweiflung und Wut über den Tod seines Vaters ließ ihn standhalten.
Seine Mutter hing noch einen Wimpernschlag schwerelos genau in der Luft, bevor auch sie von den Folgen der Schwerkraft eingeholt wurde und zu stürzen begann.
Luke streckte einen Arm nach ihr aus, ohne darüber nachzudenken, ob sein Bruder sie beide und ihre Mutter würde tragen können, doch er konnte ihre Hand nicht erreichen, denn sie zog sie vor ihm zurück. Sie war wohl der Meinung, dass sie sonst ihre Söhne mit sich in den Tod reißen würde.
Und so mussten die Jungen mit ansehen, wie ihre Mutter dem Schicksal ihres Vaters folgte und unter ihnen verschwand.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Seine Eltern waren tot. Deshalb hatten sie ihn nicht beschützen können. Sie würden ihn nie wieder beschützen können. Er war alleine auf dieser Welt und das unwiderruflich.
Und als wäre das nicht genug, musste er sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass er nicht einmal mehr ein Mensch war. Nicht nach den Maßgaben, die ein Leben lang für ihn Gültigkeit gehabt hatten.
Mit einem Stöhnen sank er gegen die Wand.
„Alles in Ordnung Kleiner,“ in der Stimme der Frau lag echte Besorgnis. Sie maß Bo mit einem langen Blick und schloss dann die Augen, ohne ihr Gesicht von ihm abzuwenden. Als sie die Augen wieder öffnete hatten sich tiefe Falten auf ihrer Stirn gebildet, die ihre Restlichtverstärkerbrille tief auf ihre Nase drückten. Sie schob sie mit einem Finger wieder nach oben, kam auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Du bist gar nicht von hier mein Junge, oder?“
„Nein, ich glaube nicht.“
„Aber, wie bist du dann hier unten gelandet,“ in einiger Entfernung die Straße hinunter wurden einige Tonnen umgeworfen. Dann ertönten schrille Schreie, die von dumpfem Stöhnen.
Die Frau wirkte sofort alarmiert. Sie sprang auf, verstaute die Brille wieder in der Tasche, setzte den Helm wieder auf und nahm das Gewehr, von der Schulter in beide Hände.
„Darum müssen wir uns später kümmern Kleiner. Jetzt müssen wir erst einmal sehen, dass wir hier verschwinden. Halt dich dicht hinter mir und versuch, leise zu sein.“
Sie schob sich an die Ecke des Hofes, lief dann zum Ausgang zur Straße und spähte um die Ecke in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren. Ohne den Blick zu ihm zu wenden, gab sie ihm ein Zeichen, zu ihr zu kommen und sich hinter ihr an die Wand zu drücken.
„Sieht aus, als bekämen wir Gesellschaft. Der Freak da hinten,“ sie deutete über die Schulter in Richtung des enthaupteten Ghul-Körpers, „nur der Wächter des Nests gewesen.“
Erst jetzt fiel Bo auf, dass überall auf dem Hof verteilt kleinere und größere Ansammlungen von Knochen herumlagen. Hier und da waren heruntergebrannte Feuerstellen, um die Berge aus Decken und alten Kleider lagen. Eigentlich war sofort erkennbar, dass das nicht das Zuhause eines Einzelnen Individuums war.
Die Frau schob ihn mit einem Arm hinter ihren Rücken und zog sie beide hinter ihrer Deckung heraus auf die Straße. Nun konnte auch Bo die Quelle der Schrei ausmachen.
Das alte verrostete Schild, das wohl einst einmal Blau und Weiß gewesen war, wies Die Straße als Bembergstraße aus. Also musste es tatsächlich die unterste Ebene von Wuppertal sein. Alle Straßen auf den über ihnen liegenden Ebenen waren nummeriert und trugen keine Straßennamen. Doch hier im ursprünglichen Wuppertal der Jahrtausendwende, hatte sich niemand mehr die Mühe gemacht, alles zu modernisieren. Die ganze Stadt war überbaut und dann schlicht vergessen worden.
Etwa hundert Meter die Straße hinauf hatten etwa zehn Ghuls anscheinend eine Gruppe von Obdachlosen überfallen und waren damit beschäftigt, ihre Opfer zu durchsuchen und begannen noch vor Ort damit, sie anzunagen. Der Anblick war grauenhaft. Hinter ihnen endete die Straße machte die Straße nach etwa weiteren hundert Metern eine leichte Kurve und endete an einer T-Kreuzung, die in eine Brücke mündete. Die andere Seite der Kreuzung war hinter einigen baufällig aussehenden Gebäuden verborgen.
Seine Begleiterin begann, ihn in Richtung der Kreuzung zu schieben und bedeutete ihm mit einem Finger an den Lippen, still zu bleiben. Bo wandte sich von den schrecklichen Kreaturen ab und schlich die Straße entlang, wobei er immer versuchte die Deckung von Abfallhaufen, Mülltonnen und Autowracks zu nutzen. Seine Beschützerin hingegen ging rückwärts in der Mitte der Straße und hielt das Gewehr auf die drohende Gefahr gerichtet.
Ein Wenig wunderte er sich, warum sie so wenig Wert darauf legt, in Deckung zu gehen. Er wollte sie fragen, beschloss aber, damit lieber zu warten, bis sie in Sicherheit waren.
Kurz bevor sie die rettende Straßenecke erreicht hatte, beschlossen die Ghule offenbar, ihre Mahlzeit in ihrem Nest fortzusetzen, denn einige von Ihnen schulterten die Leichen und die Gruppe kam auf sie zu. Natürlich sahen sie die Frau, die in einiger Entfernung zu ihnen, rückwärts die Straße entlang ging.
Einer von ihnen, ein besonders großes Exemplar seiner abstoßenden Subspezies, gab ein paar gutturale Laute von sich. Er trug als einziger in der Truppe einen reichen Halsschmuck, der sogar aus der großen Entfernung eindeutig als menschliche Überreste zu erkennen war, was ihn wohl als Anführer der Gruppe kennzeichnete.
Die Asiatin schien zu dem selben Schluss gekommen zu sein, denn sie legte an, zielte sorgfältig und gab einen krachenden Schuss ab, der die Bestie genau zwischen die Augen traf. Als ihr Anführer nach hinten umkippte, während sein Gesicht sich in einer Wolke aus Blut, Gewebefetzen und Knochensplittern auflöste, war die Wut der Ghule entfesselt. Diejenigen, mit den Leichen über der Schulter rannten zu der Ecke, die in ihr Nest führte und verschwanden darin, während der Rest sich nach vorne beugte, bis ihre unnatürlich langen Arme den Boden fanden, und auf allen Vieren auf sie zu gerannt kam.
„Lauf Kleiner. Zur Brücke,“ schrie sie Bo zu und eröffnete das Feuer auf die Ghule. Diese waren aber nicht so leicht zu treffen, denn sie erwiesen sich als überaus wendig und konnten mit ihren krallenbewehrten Händen und nackten Füßen sogar kurze Strecken an den seitlichen Wänden der Häuser zurücklegen, von denen sie sich dann mit großen Sprüngen abstießen, und mit einigen Rollen durch die Luft wirbelten, bevor sie auf den Füßen aufkamen und ungebremst weiter rannten.
Wütend wechselte die Asiatin das Magazin ihres Gewehrs und feuerte weiter. Die Meute kam immer näher und sie hatte nur wenige von ihnen ernstlich verletzen können. Schließlich wechselte sie die Strategie. Sie ließ den Unterlauf-Granatwerfer ihrer Waffe einige Geschosse verschießen, warf die Waffe dann beiseite und griff über die Schulter auf ihren Rücken.
In einer fließenden Bewegung riss sie eine langes gebogenes Schwert aus seiner Scheide, dessen Klinge auf seltsame Art von innen heraus in einem grünlichen Licht zu erstrahlen schien. Bo blieb fasziniert stehen und betrachtete die Waffe. Er bemerkte, wie sein Nackenhaar sich sträubte. Seine Retterin war offenbar eine Magierin. Diese Aufladung in der Luft hatte er schon einmal gespürt. Wenn sein Vater seine Magie eingesetzt hatte, hatte er auch fühlen können, wie sich die Macht um ihn zusammenzog.
„Zieh dich an mir hoch. Ich kann uns nicht mehr lange halten.“
Tränen liefen an Bos Wangen herunter, die sich zu gleichen Teilen aus Schmerz aller erdenklichen Arten zusammensetzten. Sein Arm schmerzte so sehr, dass er fürchtete, er würde abreißen. Und der Tod seiner Eltern innerhalb eines Augenblickes hatte ihn emotional getroffen, wie die Granate zuvor die Straße.
Luke, der immer noch in den Abgrund starrte, erwachte aus seiner Starre und griff nach den Eisenstreben über sich. Als er eine davon zu greifen bekam, zog er sich daran empor über die Kante der Straße, legte sich auf den Bauch und zog seinen Bruder nach oben.
Als Bo auf dem Bauch in Sicherheit lag, mischte sich Wut in seinen Schmerz, der schnell zu rasendem Hass heranwuchs. Er sprang auf und rannte zu dem Schnellfeuergewehr des Trolls, dass jetzt herrenlos auf der Straße lag. Ohne genau zu wissen, was er eigentlich tat, nahm er es auf, rannte zurück an die Kante, richtete die Waffe aus und zog den Abzug.
Eine lange donnernde Salve aus Hochgeschwindigkeitsgeschossen ergoss sich aus dem Lauf, deren schierer Kraft der Junge nichts entgegenzusetzen hatte. Der Lauf wurde nach oben und er von den Beinen gerissen. Da erschien sein Bruder neben ihm und trat ihm die Waffe aus der Hand. Luke ergriff ihn am Arm und zerrte ihn auf die Beine.
„Hör auf damit. Wir müssen hier verschwinden. Du hast gehört, was Dad gesagt hat. Ich soll auf dich aufpassen. Los komm.“
„Auf mich aufpassen? Und was ist mit Mum?Auf die hast du auch aufpassen sollen und jetzt ist sie tot. Genau wie Dad. Was spielt es noch für eine Rolle, was,“ Luke gab Bo eine schallende Ohrfeige. Tränen liefen auch an seinen Wangen herab, während er ihn aus geröteten glasigen Augen ansah.
„Vielleicht hat Dad es noch geschafft, ihren Sturz abzufangen. Du weißt, wie gut er in solchen Dingen ist. Vielleicht sind die beiden schon auf dem Weg zurück nach Hause. Wir sollten jetzt machen, dass wir hier wegkommen.“
„Auf dem Weg nach Hause? Du hast genauso gut wie ich gesehen, was passiert ist.“
„Du kennst Dad. Manchmal sieht man genau das, was er will das man sieht. Und jetzt komm,“ er schulterte das Gewehr und zog seinen Bruder von der Unglücksstelle weg zu dem Wartungsschacht.
Er öffnete die kleine Tür und schob seinen kleinen Bruder hindurch zu der Leiter, die sie an die Oberfläche führen würde. Zurück in Sicherheit.

Dann erreichten die ersten der Monster die schlanke Frau, die breitbeinig und mit erhobenem Schwert auf der Straße ihren Ansturm erwartet hatte.
Bo wollte ihr eine Warnung zurufen, als die Klaue eines Ghuls seitlich auf ihren Kopf zuschoss, doch das war nicht nötig. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die Bo in einer solchen Perfektion noch nie gesehen hatte, ließ sie ihren Oberkörper nach hinten unter dem Schlag hindurchkippen und trat dabei mit einem Bein nach vorne aus, wobei sie einen ihrer Gegner mit solcher Wucht unter dem Kinn traf, dass dieser regelrecht nach hinten geschleudert wurde und sein Genick hörbar brach. Jetzt drehte sich ihr Oberkörper um seine Achse, wobei sie auf der Zehenspitze eines Fußes balancierte und das Bein, mit dem sie gerade zugetreten hatte, immer noch waagrecht in der Luft stand. Ihre Arme spreizte sie dabei vom Körper ab und beschrieb einen weiten Bogen mit ihrem Schwert, der den Angreifer, unter dessen Schlag sie sich geduckt hatte knapp über der Hüfte sauber in zwei Hälften trennte.
Jetzt, da sie mit dem Gesicht nach unten auf einem Bein stand, ließ sie sich nach hinten auf das abgespreizte Bein kippen, dass die Wucht abfing und sie sauber nach hinten in einen Spagat gleiten ließe, gerade rechtzeitig, um unter dem Sprung eines Ghuls wegzutauchen, dem sie von unten das Schwert in den Bauch rammte.
Mit einer wirbelnden Drehung, bei der sie mit Schwert und gestrecktem Bein alle Angreifer ein Stück weiter auf Distanz drängte, war sie wieder auf den Beinen.
Sie warf ihr Schwert in die Höhe, griff hinten unter ihren Rucksack und zog zwei leichte Maschinenpistolen darunter hervor. Mit ausgebreiteten Armen beschrieb sie einen fast vollständigen Kreis mit dem Feuer der Waffen, der ausschließlich Bos Position aussparte. Als die Magazine leer waren, ließ sie die Waffen fallen, schlug ein Rad nach hinten und fing in einer lässigen Bewegung ihr Schwert.
Innerhalb von kaum mehr als drei oder vier Sekunden, hatte sie die Gruppe der Ghuls um drei verkleinert, die tot auf dem Boden vor ihr legen und fast alle anderen mehr oder minder schwer verletzt.
Die Monster schienen einen Moment über ihren nächsten Schritt nachzudenken, entschieden dann aber wohl, dass die Mahlzeit, die ihre Kameraden eben ins Nest geschleppt hatten, eine weit sicherere wäre, denn sie dreht auf den Absätzen herum und schienen sich ein wahres Wettrennen zu ihrem Unterschlupf zu liefern.
Der Todesengel in schwarz seufzte und schob das Schwert zurück in seine Scheide. Dann hob sie ihre herumliegenden Waffen auf, verstaute die Maschinenpistolen wieder in ihren Holstern und hängte das Sturmgewehr über die Schulter.
Dann griff sie erneut in ihren Rucksack und kramte Beutel und Röhrchen hervor, die sie mit einigen Proben der Ghule füllte, sorgfältig säuberte und in den Rucksack steckte.
Als sie ihre Prozedur beendet hatte, wandt sie sich wieder Bo zu.
„Wie sollten zusehen, dass wir hier verschwinden. Ghule sind zwar sehr leicht einzuschüchtern, aber wenn sie sich davon erst erholt haben, werden sie erst recht sauer sein. Dann haben wir es nicht mehr so einfach. Komm mit.“
Sie ging lässig an ihm vorbei und trat auf die Kreuzung hinaus. Ein alles übertönender Gestank nach Fäule lag in der Luft, der einem den Atem raubte. Unter der Brücke floss ein Strom aus Abfall und schwarzem Wasser durch die unterirdische Stadt.
Die Frau, die ein paar Schritte vor ihm herging, faszinierte Bo. Sie vereinte eine Grazie und ein sanftes Wesen, für das ihre Art sprach, mit ihm umzugehen, mit einer kompromisslosen Tödlichkeit eines Auftragsmörders. Außerdem war sie ganz offensichtlich eine aktive Magierin, obwohl der exzessive Gebrauch von Waffengewalt, dessen er grade Zeuge geworden war, untypisch für einen Magier. Sie war eine Einheit der Gegensätze.
„Woher kommst du Kleiner,“ fragte sie, ohne sich umzudrehen. Bo war einerseits fast froh, dass sie scheinbar an einem Gespräch interessiert war, denn es gab einiges in seinem Kopf, worüber er sich jetzt keine Gedanken machen wollte, aber andererseits gehörten Fragen zu seiner Person eben genau zu diesen Themen.



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